Bajazid Elmaz Doda
unter Mitwirkung von Franz Baron Nopcsa
Albanisches Bauernleben im oberen
Rekatal bei Dibra (Makedonien)
Herausgegeben von Robert Elsie
Balkanologie: Beiträge zur Sprach- und Kulturwissenschaft
Herausgegeben von Thede Kahl, Michael Metzeltin, Gabriella Schubert und Christian Voss
Band 1
ISBN 978-3-8258-0711-5
Lit-Verlag, Vienna & Münster 2007
216 S.
VORWORT
Ein seltener Blick in eine vergangene Welt. Bei dem hier vorgestellten Buch Albanisches
Bauernleben im obereb Rekatal bei Dibra handelt es sich um eine vielschichtige volkskundliche
Untersuchung einer abge-schlossenen Gemeinschaft in Südosteuropa während des letzten
Jahrzehnts des Osmanischen Reiches, d. h. vor ziemlich genau einhundert Jahren.
Das Gebiet Oberreka (albanisch Reka e Epërme, mazedonisch Gorna Reka) befindet sich am
Osthang des an der heutigen albanisch-mazedonischen Grenze befindlichen Korab-Gebirges
im Staatsgebiet der Republik Mazedonien.
Die Studie, die im Jahre 1914 von Bajazid Elmaz Doda (ca. 1888-1933) unter Mitwirkung des
bekannten ungarischen Albanien-Forschers, Franz Baron Nopcsa
(1877-1933), verfasst wurde, umfasst eine geografische
Beschreibung des oberen Rekatals, speziell des Heimatdorfes
des Verfassers, Schtirowitza (albanisch: Shtirovica, mazedonisch
Štirovica), die Gebräuche der Einwohner des Gebiets, die
Wirtschaftsgrundlagen ihres Lebens, unter anderem eine
ausführliche Beschreibung der Schafzucht und Milchwirtschaft
und des sogenannten Kurbetganges (Wanderarbeit), einen
Einblick in die materielle Kultur der Bewohner, u.a. Hausbau,
Einrichtung, Trachten, Speisen, und eine Erörterung der
Verhältnisse in den letzten Jahren der Türkenherrschaft, sowie
Märchen und Sagen, und einiges über das albanische Dialekt des Reka-Gebietes.
Ein seltener Blick in eine vergangene Welt ist dieses Werk vor allem, weil Schtirowitza zwei
Jahre nach dieser Untersuchung von bulgarischen Truppen dem Erdboden gleichgemacht
wurde. Die albanische Bevölkerung des Tales wurde vertrieben. Viele von ihnen wurden in
späteren Jahren zur Auswanderung in die Türkei gezwungen. Derzeit ist das Gebiet beinah
menschenleer. Eine Welt ist verschwunden.
Zu dem Verfasser
Bajazid Elmaz Doda, auch deutsch Bajasid Elmas genannt, wurde ca. 1888 in dem hier
vorgestellten Gebirgsdorf Schtirowitza geboren und wuchs dort auf. Wie viele männliche
Einwohner des Reka-Gebietes ging er als Jugendlicher auf Wanderarbeit nach Rumänien. In
Bukarest traf er am 20. November 1906 den Albanologen Franz Baron Nopcsa, der den
achtzehnjährigen Albaner als Diener anheuerte. Aus dem Arbeitsverhältnis wurde eine
Liebesbeziehung und eine langjährige innige Lebensgemeinschaft. In seinen im Jahre 2001
veröffentlichten Lebenserinnerungen, Reisen in den Balkan, beschrieb Nopcsa die erste
Begegnung mit seinem künftigen, als Privatsekretär fungierenden, Lebensgefährten in
knappen Worten folgendermaßen: "Am 20. November 1906 habe ich in Bukarest Bajazid Elmas
kennengelernt. Bajazid ist seither bei mir geblieben und nach dem Tode von Louis Draškovic war er
der einzige Mensch, der mich wirklich gern hatte, dem ich daher in allem und jedem vollstes
Vertrauen entgegenbringen konnte, ohne einen Augenblick zu befürchten, dass er es missbrauchen
würde. Auch er hatte zwar seine Fehler, aber diesem Vorteil gegenüber nahm ich sie gerne mit in Kauf.
Aus Hass gegen alles, was österreichisch-ungarisch ist und, da ich mich speziell in Albanien betätigte,
aus Hass gegen mich ermordeten die Serben Bajazid seinen Vater und seinen Bruder in Schtirovitza
1913."
Anschließend fuhr Nopcsa mit seinem jungen Diener auf das elterliche Gut Szacsal (Sacel)
bei Hatzeg in Siebenbürgen und nach ein paar Monaten nach London, wo Bajazid an
Influenza erkrankte. Mitte November 1907 fuhren die beiden von der Stadt Shkodra aus, in
der Nopcsa in den Jahren 1907-1910 und später ab Oktober 1913 ein Haus besass, über
Mirdita und Kalis, wo sie von dem berühmten Räuberfürsten Mustafa Lita in Gefangen-
schaft gerieten. Nach deren Freilassung in Prizren führen sie nach Skopje und bereisten
vermutlich dann auch das obere Rekatal, wie ursprünglich geplant. Anschließend fuhren sie
wieder nach Shkodra, um das Stammesgebiet der Hoti und Gruda zu erforschen.
Auch in den Jahren vor und während der Balkankriege bereisten Nopcsa und sein
temperamentvoller Sekretär weite Teile von Nordalbanien, Kosova und Mazedonien. Im
Herbst 1913 berichtet Nopcsa: "Einmal, als Nikol Gega und Bajazid in rasch aufwallendem Zorn
zu je einem Revolver griffen und nur durch das Dazwischentreten von Gjok Prenga und Mehmed
Zeneli daran gehindert wurden, sich gegenseitig zu erschießen, da gelang es mir sogar, diese
Angelegenheit, ohne irgendeinen Teil zu schädigen, aus der Welt zu schaffen, so dass sich beide
Gegner nach einer Weile wieder versöhnten. Mehr als ein Europäer wunderte sich darüber, wie ich so
viele disparate Charaktere, die noch dazu wie alle Albaner zu gegenseitigem Neid und zu Eifersucht
inklinierten, beisammen halten konnte... Von Shkodra begab ich mich, sowie ich meinen ganzen
Haushalt in Schwung gebracht hatte, ins Gebirge. Mein Programm war zuerst, den Südhang der
Nordalbanischen Alpen zu erforschen, dann das Gebiet knapp westlich der Prokletien. Doch mußte ich
wegen Malaria vom letzteren Teil meines Programms absehen, um mich auf den leicht begehbaren
bergigen Teil von Kastrati zu beschränken. An meiner Statt bestieg Bajazid den Veleçik, die Kunora e
Keneshdolit und einige andere Berge, von wo er die für die Herstellung der Spezialkarte der
nordalbanischen Alpen notwendigen Fotografien machte."
Auch im Kriegswinter 1915-1916, als Nopcsa mit den k. u. k. Truppen in Kosova diente, war
sein Sekretär dabei. Nach dem Ersten Weltkrieg lebten Bajazid Elmaz Doda und Franz
Nopcsa hauptsächlich in Wien, wo der Forscher Wichtiges veröffentlichte und sich sowohl in
der Albanologie, wie auch in der Paläontologie und Geologie große Verdienste erwarb.
Am 25. April 1933 schied der an Depressionen leidende Baron durch einen Schuss in den
Mund aus dem Leben. Einen kurzen Augenblick davor hatte er auch seinen treuen Diener
und Lebensgefährten erschossen. In einem Schreiben an die Polizei schrieb Nopcsa: "Die
Ursache meines Selbstmordes ist zerrüttetes Nervensystem. Dass ich auch meinen langjährigen
Freund und Sekretär, Herrn Bajazid Elmaz Doda, im Schlafe und ohne dass er es vorausgeahnt hätte,
erschossen habe, liegt darin, dass ich ihn krank, elend und ohne Geld nicht auf der Welt zurücklassen
wollte, da er dann zu viel gelitten hätte. Ich wünsche verbrannt zu werden."
Zu dem Werk
Das in der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrte Typoskript, Albanisches
Bauernleben im Oberen Rekatal, wurde von seinem damals sechsundzwanzigjährigen Verfasser
in Wien im April 1914 fertiggestellt aber nie veröffentlicht. Aus dem Vorwort des Verfassers
geht hervor, dass der Text von Nopcsa ins Deutsche übersetzt wurde. Da die deutsche
Fassung starke Ähnlichkeiten mit anderen ethnographischen Werken Nopcsas aufweist,
kann man davon ausgehen, dass dieser bei der Gestaltung des Manuskriptes seinen Einfluss
zur Geltung brachte. Dies wird insbesondere in den vielen in Nopcsas Schrift verfassten
Ergänzungen und Korrekturen ersichtlich. Wenn es eine albanischsprachige Urfassung des
Werkes gab, so muss sie nun als verschollen gelten.
Albanisches Bauernleben im Oberen Rekatal wurde zu einer Zeit geschrieben, als es für die
albanische Sprache, und um so mehr für die nun ausgestorbene albanische Mundart von
Reka, keine allgemein anerkannte Schreibweise gab. Die in dem Text zahlreich
vorkommenden albanischen Worte und Ortsbezeichnungen wurden von Doda und Nopcsa
daher in deutscher Umschrift angegeben - und zwar nicht immer auf sehr konsequenter
Weise -, und werden hier in gedruckter Form nach einigen Anpassungen wie im Original
gelassen. Der des Albanischen mächtigen Leser dürfte mit der Umschrift keine allzu große
Schwierigkeiten haben.
Die vorliegende Studie enthält eine Fülle von Angaben und Informationen aus den
verschiedensten Bereichen und wird daher in vielen Fachgebieten Interesse wecken und
Verwendung finden. Darüber hinaus dürfte sie die frühste in deutscher Sprache von einem
Albaner verfasste Studie zur Ethnographie sein. Allein aus diesem Grund ist es uns eine
besondere Freude, das Werk Albanisches Bauernleben im oberen Rekatal nach so vielen Jahren
dem Publikum vorstellen zu dürfen.
Robert Elsie
Den Haag, Februar 2007
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort des Herausgebers
Vorwort von Franz Baron Nopcsa
Vorwort des Verfassers
Kapitel I
Beschreibung des Gebietes
Allgemeines, Beschreibung der Ortschaften des oberen Rekatals, Almen des Gebietes,
allgemeine Konfiguration des Berglandes, Kommunikationslinien, Klimatisches,
Pflanzen, Physisches über die Bevölkerung.
Kapitel II
Gebräuche
Gebräuche bei der Geburt und der Namensgebung, Taufnamen, Zeremonien am
Wochenbett, Zahndurchbruch des Kindes, Kinderspiele, Gebräuche bei der
Beschneidung, Verlobung und Hochzeitgebräuche, Ehescheidung, Arbeiten im Haus
und Hof, Bestattungsgebräuche, Erbrecht, Gütergemeinschaft und Teilung der
Immobilien, besondere Feiertage und deren Feier.
Kapitel III
Gelderwerb der Rekaner
Schafzucht, Beziehen der Almen, Bau einer Sennhütte, Aufzählung dort befindlicher
Gegenstände, über Hirten und andere Angestellte, Absondern der Schafe, die
Milchwirtschaft und deren Produkte, das Leben der Hirten, Schafschur, das Häuten von
Schafen und die Verarbeitung der Häute, Zustand einer Sennhütte im Herbste, der
Abzug von der Alm, Marsch auf die Winterweide, Verhalten daselbst, Ertrag der
Schafzucht, Krankheiten der Schafe, Kurbetgang der Rekaner, Ziele und Zweck der
Kurbetgänger, Aufbruch zum Kurbet, Verkäufer von Esswaren, wie Salep, Halwa, Bosa,
Hausierer mit Manufakturwaren, Tabakschmuggel.
Kapitel IV
Materielle Kultur
Bau eines Hauses, Anlage von Haus und Hof, Grundriss eines Hauses, innere
Einrichtung eines Hauses, Anlage einer Mühle, Stoffbereitung, Spinnen, Weben,
Männertracht, Tracht der Frauen, Mehlspeisen, Fleischspeisen, Süßigkeiten,
Medikamente.
Kapitel V
Verhältnis zur ehemaligen türkischen Regierung
Funktion der Dorfältesten, Steuer, Wehrpflicht, Gerichtswesen, Katschaks,
Militärexpeditionen zur Herstellung der Regierungsautorität, Raubwesen, die
wichtigsten Räuberhäuptlinge, Einbruchsdiebstahl, Viehraub im großen, Viehdiebstahl
im kleinen, Wegelagertum, Banditentum, Episode Mustafa Litas.
Kapitel VI
Märchen und Sagen
Die alte Frau und ihre Henne, Das Märchen vom Kahlkopf, Die Geschenke des
Schlangenkönigs, Die Kinder mit den silbernen Zähnen und den goldenen Haaren, Die
drei Brüder und ihre untreuen Frauen, Der gerade und der krumme Weg, Die Herkunft
der Katze, Der Mann und der Wolf, Der Räuber und sein Neffe, Wenn einer Unglück
hat, Der Geistliche und sein Diener.
Kapitel VII
Sprachliches
Liste rekanischer Substantive, lautliche Eigentümlichkeiten des oberrekanischen
Dialekts, gegenseitiges Verhältnis der primitiven Wortgruppen und Kulturausdrücke in
Reka, aus der Sprache belegbare ethnologische Beziehungen.
Ortsverzeichnis
Website:
Die Fotosammlung des Bajazid Doda